Reinkarnation
Der Begriff „Reinkarnation“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „re-in-carnare“, zu Deutsch „wieder ins Fleisch kommen“, also Wiederverkörperung. Mit der Wiederverkörperung ist die Vorstellung gemeint, dass die Seele des Menschen ewig ist und mehrere Körper überdauert, indem sie nach dem Tod des Körpers diesen verlässt und sich einen anderen Körper sucht. Der Vorgang der Wiederverkörperung ist auch als Inkarnation bekannt, dies bedeutet dann „das jeweilige Leben einer Seele auf der Erde“, während die Reinkarnation „die Möglichkeit einer Seele, sich mehrfach zu verkörpern“, bezeichnet. Die Inkarnation ist also, wissenschaftlich gesprochen, die Realität oder Wirklichkeit, die Reinkarnation die Potentialität oder Möglichkeit einer Wiederverkörperung.
Die Reinkarnationslehre ist eine sehr verbreitete Anschauung, zu der heute Milliarden von Menschen weltweit neigen. Insbesondere im Buddhismus und im noch älteren Hinduismus ist die Vorstellung einer Seele, die sich durch mehrere Inkarnationen immer wieder auf der Erde manifestiert, seit Jahrtausenden stark verbreitet und stellt einen zentralen Glaubensartikel dar. Bereits in den Veden und in den Upanischaden (Begleittexte und Kommentare zu den Veden) wird die Wiedergeburt als ein Motor des kreatürlichen Lebens auf der Erde beschrieben, welches wie ein Kreislauf dargestellt wird, vom Leben über den Tod in die nächste Wiedergeburt. Dreh- und Angelpunkt der hinduistischen Lehre von der Reinkarnation ist das Karma (Schicksal, Tatenausgleich, Vergeltung): je nach der Qualität des Karmas sei auch die Qualität der Wiederverkörperung beschaffen, glauben Hindus und Buddhisten. Ein guter, hilfreicher Mensch zum Beispiel könne sich einer privilegierten Wiedergeburt erfreuen, ein Schurke und Verbrecher würde in schlechten Verhältnissen wiedergeboren und so weiter. Nur im sogenannten Nirwana (Nichts) sei die Notwendigkeit der Wiedergeburten, die auch eine Last und Bürde sei, aufgehoben und die Seele habe ihre Erleuchtung erlangt. Viele Formen des Yoga (siehe auch: Yoga), wie zum Beispiel das traditionelle Bhakti-Yoga, versuchen, den Zustand der glückseligen Bedürfnislosigkeit, also das sogenannte „samadhi“, zu erreichen und den Menschen so schon zu Lebzeiten vom Rad der Wiedergeburten zu befreien.
Doch der Gedanke an Reinkarnation ist nicht nur in Indien verbreitet, sondern war auch in Europa in der Antike ein gängiger und plausibler „Glaubensartikel“. Die mysteriöse Schule der Pythagoreer, benannt nach ihrem Gründer, dem berühmten griechischen Mathematiker und Philosophen Pythagoras, glaubte auch an Wiederverkörperung, obwohl wenn von ihren konkreten Glaubenssätzen wenig erhalten ist, da ihre Schulungen geheim waren und als Geheimzirkel galten. Dennoch sickerte gleichsam einiges von der okkulten Geheimlehre der Pythagoreer in das Alltagsbewusstsein der Menschen durch, und der griechische Philosoph Platon erwähnt die Möglichkeit mehrerer Leben einer Seele in seiner Schrift „Mythos vom Er“. Im „Mythos vom Er“, der heute auch in der Esoterik-Szene und in der alternativen Therapeutik sehr bekannt ist, geht es darum, dass sich eine Seele im Jenseits (einer Welt vor der Verkörperung) dasjenige Leben auswählt, das sie führen möchte, und sich dann dementsprechend verkörpert. Noch im Mittelalter, obgleich von der Kirche hart verfolgt, bahnte sich das Wissen um Reinkarnation einen geheimen Weg durch die Alltagskultur. Es mag daher nicht verwundern, dass auch im Tarot eine direkt Bezugnahme auf die Reinkarnation besteht: auf der Karte Dreizehn (Der Tod) wird der Tod als Sensenmann dargestellt, der menschliche Köpfe auf einem Feld gleichsam abmäht, um sie einer neuen Geburt zuzuführen. Und auf der Karte des Rads stellt das Tarot das Rad des Schicksals dar, das die Niedrigen erhöht und die Hohen erniedrigt – nicht nur ein soziales Gleichnis, sondern auch ein bildnerischer Ausdruck des Rades der Wiedergeburten, an das auch viele Okkultisten im Mittelalter glaubten. Was in den europäischen Kulten, auf die sich Pythagoras und Platon beziehen, jedoch fehlte, war die Vorstellung des Karmas als treibender Kraft hinter der Wiederverkörperung. Diese wurde in der Esoterik- und New-Age-Szene sehr stark durch die Lehren von Helena Petrowna Blavatsky und die von ihr begründete Lehre, die sogenannte Theosophie verbreitet, die noch heute vielen Vorstellungen über Reinkarnation, die in der aktuellen Alltagskultur geläufig sind, zu Grunde liegt.
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